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02. September 2013, 22:56

Prekäre Fracht - wie sicher ist der Hamburger Hafen?

Der Schiffsbrand zu Beginn des Kirchentages war offenbar brisanter als bisher gedacht. Das havarierte Containerschiff hatte Munition und radioaktives Material an Bord. Journalisten blitzen mit Nachfragen bei Behörden ab.

HAMBURG - Nie zuvor in der Geschichte des jungen Stadtteils dürften mehr Menschen in der Hafen-City versammelt gewesen sein als an diesem Abend des 1. Mai: Zehntausende feiern auf dem Strandkai in harmonischer Stimmung die Eröffnung des Kirchentages, unter ihnen Bundespräsident Gauck. Um 20.​02 Uhr brennt, nur wenige hundert Meter entfernt, ein Containerschiff. Bis zum frühen Morgen beobachten Kirchentagsbesucher, wie die Feuerwehr den Brand auf der „Atlantic Cartier“ erfolgreich bekämpft. Alles scheint in Ordnung zu sein. Erst zwei Wochen nach dem Großeinsatz bringt eine parlamentarische Anfrage der Grünen an den Tag: Der Frachter hatte explosive und radioaktive Stoffe geladen.

„Erst jetzt erfahren wir, dass an Bord des brennenden Frachters hochgefährliches Uranhexafluorid war“, beschwert sich der Grünen-Abgeordnete Anjes Tjarks. „Der Stoff ist radioaktiv und für Menschen lebensgefährlich. Es ist nicht auszudenken, was hätte passieren können.​“ Tatsächlich befanden sich 20 Tonnen radioaktives Material in den Containern, darunter fast 9 Tonnen des besagten Uranhexafluorid, das in Atomkraftwerken als Trennmittel für verschiedene Sorten Uran verwendet wird. Kommt es mit Wasser in Berührung, entsteht zudem Flusssäure - ein Stoff, der im Falle von Haut- oder Atemkontakt tödlich sein kann. Außerdem waren 3,​8 Tonnen Munition an Bord. Entging die Millionenstadt am 1. Mai nur knapp einer Katastrophe?

Städtische Behörden wiegeln ab und loben das schnelle sowie professionelle Eingreifen der Feuerwehr. „Die Gefahrgutcontainer wurden rechtzeitig aus dem Gefährdungsbereich des Brands entfernt und in einen sicheren Lagerbereich an Land umgesetzt. Alle umgesetzten Container waren unbeschädigt; es sind keine Gefahrstoffe ausgetreten“, schreibt der Senat dazu in seiner Antwort vom 14. Mai auf Tjarks‘ Anfrage. 33 Container mit gefährlichen Gütern seien „aus dem unmittelbar gefährdeten Bereich“ geborgen worden; der Rest konnte auf dem Schiff verbleiben. Die insgesamt 296 Feuerwehrleute hätten bei dem 15 Stunden dauernden Großeinsatz die Lage stets im Griff gehabt und seien kurz nach Einsatzbeginn über die Art der Ladung informiert gewesen.

„Es ist überhaupt nichts schief gegangen und genau so gelaufen, wie es laufen sollte“, sagt Frank Reschreiter von der Hamburger Innenbehörde am Freitag in der Hansestadt. Sein Kollege Volker Dumann von der Umweltbehörde ergänzt: „Es sind keinerlei Schäden für die Umwelt entstanden; noch nicht einmal Löschwasser ist ins Hafenbecken gelaufen.​“ Durch das Gefahrgut-Informationssystem Gegis sei der Feuerwehr bekannt gewesen, dass die „Atlantic Cartier“ 2,​2 Tonnen Kernbrennstoff geladen hatte.

Merkwürdig nur: Journalisten, die in den Tagen nach dem Feuer bei den Behörden und der Feuerwehr nach der Art des Gefahrgutes an Bord fragen, erhalten nur ausweichende Antworten. Es handle sich bei der „Atlantic Cartier“ in erster Linie um einen Autofrachter, der naturgemäß auch Treibstoff dabei habe, so die erste Information. „Und damit hatten wir uns erst mal natürlich zufrieden gegeben“, sagt Dietrich Lehmann, Reporter des Radiosenders „NDR 90,​3“. Doch als er und seine Kollegen zweieinhalb Wochen nach dem Brand detaillierte Fragen stellen, zieren sich die Ämter: Umwelt- und Wirtschaftsbehörde verweisen auf die Innenbehörde; diese wiederum empfiehlt eine Nachfrage bei der Feuerwehr, die sich nur zurückhaltend äußert.

15% der im Hamburger Hafen umgeschlagenen Waren werden als Gefahrgut deklariert: vom Feuerzeug bis zum radioaktiven Brennelement, das tausende Jahre strahlt. Bürger wollen wissen: Wie sicher ist der Hamburger Hafen?

Nach deutschem Presserecht haben Journalisten einen Anspruch darauf, Fragen von Behörden beantwortet zu bekommen. Reporter wundern sich nun, warum die Beamten in dieser Sache so wortkarg sind. „Was wissen die Behörden eigentlich untereinander davon?​“ fragt sich Dietrich Lehmann. Er erhielt noch nicht einmal einfache Angaben über die Mengen an gefährlichen Stoffen an Bord der „Atlantic Cartier“. „Das sagt auch einiges über die Transparenz innerhalb der Behörden aus“, merkt der NDR-Reporter dazu an.

Mittlerweile ist bekannt geworden, dass die Polizei bei einer Kontrolle nur wenige Stunden vor dem Brand bemängelt hatte, dass die Lage der radioaktiven und ätzenden Stoffe auf dem Schiff teilweise nicht richtig deklariert war. Im Unglücksfall könnten aber ausgerechnet solche Informationen entscheidend für das Vorgehen der Feuerwehr sein. Auf Nachfrage erklärt der Senat, dass die Polizei daher ein Ordnungswidrigkeits-Verfahre­n eingeleitet habe. Es handle sich jedoch nur um „geringfügige Fehler“, die man nicht überbewerten solle. Das Verwarngeld beträgt 20 Euro.

Michael den Hoet

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